Die Engländer sind schon ein seltsames Volk! Zu dieser Erkenntnis kommt man spätestens, wenn man in seinen ersten Pork Pie beißt, während man auf der falschen Straßenseite über eine viel zu schmale Landstraße fährt, die noch dazu beidseitig von endlosen Steinmauern begrenzt wird… Und hinter den Steinmauern? Schafe. Heerscharen von Schafen und ab und zu ein kleines Häuschen, ein „Cottage“ in der dann vermutlich ein Schafzüchter sitzt.

Genau so ein Cottage, nämlich das „Well Cottage“ im kleinen Örtchen Youlgrave sollte Lukas, Tom, dem ehemaligen Local Mark und mir für eine Woche als Basislager für unseren Klettertrip in England dienen. Mark, der wie gesagt ein paar Jahre in Youlgrave lebte, organisierte uns diese stilvolle Unterkunft und war auch sonst so freundlich eine Art Fremdenführer für uns zu sein. Vor allem aber war er unser Chauffeur, denn wäre ich gefahren hätte es garantiert schon am ersten Kreisverkehr gekracht!

Was bewegt 4 Tiroler Kletterer die heimischen Berge für maximal 30 Meter hohe Sandsteinklippen einzutauschen? Es ist der Kletterstil, der uns in den Nationalpark des Peak Districts lockte: Bezeichnen manche den heutigen Kletterstil in Tirol als „Climbers Paradise“, so müssten sie den Stil im Peak District als „Climbers Hell“ empfinden… Es gibt absolut keine fix montierte Absicherung im gesamten Gebiet! Alles clean! Die Strukturen der schier endlosen Sandsteinklippen schlucken dafür so ziemlich alles an mobilen Sicherungsgeräten die man ihnen vorhält. Meistens zumindest – denn hier kommt die nächste Eigenart der Engländer zur Geltung: Ihre Schwierigkeitsbewertung! Um Auskunft darüber zu geben wie gut eine Route absicherbar ist führten die Altvorderen eine Bewertung ein, an deren Basis die Schwierigkeit „Moderate“ (Mod) steht. Für Schwierigkeiten im Bereich UIAA II-III verwendeten sie schon den Begriff „Difficult“ (Diff), was in der weiteren Entwicklung des Klettersportes natürlich für Probleme sorgen sollte. Die nächste Stufe war ja noch logisch: „Very Difficult“ (VDiff), aber dann ging’s los kompliziert zu werden: „Hard Very Difficult“ (HVD), „Severe“ (Sev), „Hard Severe“ (HS), „Very Severe“ (VS) und schließlich „Hard Very Severe“ (HVS). Mit HVS befinden wir uns im UIAA Grad V+ bis VI+, also brauchte man bald ein noch größeres Superlativ – und das war schnell gefunden: „Extreme“ (E). Und weil’s halt kein furchteinflößenderes Wort als „Extreme“ gibt begnügt man sich nun damit eine Zahl von 1 bis derzeit 10 anzuhängen, also E1 bis E10.
Den englischen Kletterern war es aber noch nicht kompliziert genug, jetzt musste auch noch ein technischer Schwierigkeitsgrad her. Hierfür nutzen sie das gleiche System wie die Franzosen, aber weil sie die ja nicht besonders mögen gibt es einen kleinen Unterschied: 5a englisch bedeutet 6a französisch, die Skala hinkt der uns vertrauten also immer ungefähr einen Grad hinterher! Buh…Glück gehabt wenn man in einer 5c abblitzt: In Wirklichkeit ist sie ja 6c!

Gleich nach unserer Ankunft in Manchester fuhren wir zum größten aller Klettergebiete: Stanage. Diese Klippe zieht sich für etwa 3km durchs Land und weil es Samstag war und die Sonne schien gab es eine ebenso lange Schlange von Kletterern!
Wir begnügten uns anfangs mit ein paar Boulderproblemen, aber später am Tag tastete ich mich dann doch bis zur Schwierigkeit HVS vor. Erster Eindruck: Geniale Kletterei… super griffiger Fels und vor allem: Cool dass man alles selber absichern kann und muss!!!

Der zweite Tag brachte dann jenes Wetter, das wohl jeder mit England assoziiert: Regen. Da wir (und auch die Meteorologen) nicht genau wussten was die restliche Woche noch bringen würde, beschlossen wir uns in einer riesigen Boulderhalle in Sheffield die Finger wund zu klettern… Gesagt getan. Es sollte dann aber der einzige wirklich schlechte Tag der ganzen Woche sein und der ein oder andere von uns hätte sich in der Boulderhalle wohl ein bisschen zurückhalten sollen.

Von Montag bis Sonntag war es dann im Großen und Ganzen wunderschön und wir konnten viele der großen Gritstone-Klassiker abhaken. Obwohl die Höhe der meisten Routen recht bescheiden ist, so ist die Kletterei doch sehr geschichtsträchtig: Kletterlegenden wie Joe Brown (Erstbesteiger des Kangchendzönga) verewigten sich mit, für die damalige Zeit, unvorstellbar schwierigen Routen.
Im Laufe der Zeit wächst das Vertrauen in das eigene Absicherungsvermögen und auch der Schwierigkeitsgrad „Extreme“ verliert etwas von seinem Schrecken. Am letzten Tag konnte ich mich schließlich bis zum Schwierigkeitsgrad E3 5c herantasten und kann so, wie meine Begleiter auch, auf eine erfolgreiche und lohnende Woche auf der Insel zurückblicken!

Danke nochmal an meine 3 Freunde Lukas, Mark und Tom, dass sie mich bei ihrer schon länger geplanten Tour mitkommen ließen, danke auch für die vielen tollen Fotos, welche hier zum Teil zu sehen sind und danke vor allem an Mark unseren „Fremdenführer“ und „Papa Duck“!

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